Quelle: Microsoft Encarta 97

 

Tunesien, Republik in Nordafrika, grenzt im Norden und Osten an das Mittelmeer, im Süden an Libyen und im Westen an Algerien. Tunesien hat eine Gesamtfläche von 163 610 Quadratkilometern.

Physische Geographie

Tunesiens Mittelmeerküste ist durch Meeresarme wie den Golf von Tunis, Hammamet und Gabès gegliedert. Im Golf von Gabès liegen die Inseln Djerba und Kerkenna. Die Küste hat eine Gesamtlänge von circa 1 200 Kilometern.

Tunesien läßt sich in vier Landschaftsformen unterteilen. Im Norden durchziehen niedrige Ausläufer des Atlasgebirges das Land. Das Bergland liegt zwischen circa 610 und 1 520 Meter hoch und besitzt fruchtbare Täler und Ebenen. Der Medjerda durchfließt diese Region. Er ist der einzige größere Fluß des Landes und mündet in den Golf von Tunis. Im Süden geht das Gebirge in ein Plateau über, das circa 610 Meter hoch liegt. Weiter im Süden fällt das Plateau zu den Schotts ab, einer Kette niedrig gelegener Salzwasserseen. Einige der Schotts, die das Land von Ost nach West durchziehen, liegen unter dem Meeresspiegel. Im Süden grenzen die Schotts an die Sahara, die 40 Prozent der Landesfläche einnimmt.

Klima

Im allgemeinen herrscht im Norden von Tunesien ein mildes, mediterranes Klima. Nach Süden hin nehmen die Temperaturen zu, und die Niederschläge werden geringer. Im Norden erreichen die Temperaturen im Januar durchschnittlich 10,6 °C, im Juli 26,1 °C. Die Regenperiode dauert in den nördlichen Regionen von Oktober bis Mai. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge liegt bei 610 Millimetern, es treten aber große jährliche Schwankungen auf. Der jährliche Niederschlag liegt in der nördlichen Sahara bei 178 Millimetern.

Flora und Fauna

Tunesien besitzt an der Küste eine typisch mediterrane Vegetation. Für die fruchtbaren Regionen im Norden sind Weinberge, Korkeichen, Kiefern und Wacholderbäume charakteristisch. In den südlichen Regionen wächst eine Steppenvegetation; Wildgräser, vor allem Espartogras und verschiedene Sträucher, dominieren. Die Oasen der ariden Regionen sind durch den Anbau von Dattelpalmen gekennzeichnet. Verbreitete Tierarten sind Hyäne, Wildschwein, Schakal, Gazelle und Hase. Darüber hinaus gibt es Giftschlangen, u. a. Kobras und Hornvipern.

Bevölkerung

Im Lauf der Geschichte haben sich viele Völker, darunter Römer, Wandalen (Vandalen), Schwarzafrikaner und Araber, in dem Gebiet des heutigen Tunesien niedergelassen. Die Tunesier gehören im wesentlichen dem Berberstamm an, obwohl weniger als zwei Prozent die Sprache der Berber sprechen. Infolge der Arabisierung wurde Arabisch die Landessprache.

Tunesien hatte 1984 etwa 6 966 000 Einwohner. 1993 wurde die Bevölkerungszahl auf 8 580 000 geschätzt; daraus ergibt sich eine durchschnittliche Bevölkerungsdichte von 49 Einwohnern pro Quadratkilometer. Ungefähr drei Viertel der Bevölkerung leben in der Küstenregion.

Hauptstadt und größte Stadt Tunesiens ist die Hafenstadt Tunis mit 596 700 Einwohner (1990). Andere große Städte sind Sfax (231 000 Einwohner), Sousse (83 500 Einwohner) und Bizerte (94 500 Einwohner).

Sprache und Religion

Die Amtssprache ist Arabisch; Französisch wird häufig, vor allem als Bildungssprache, gebraucht. Staatsreligion ist der Islam, dem über 95 Prozent der Bevölkerung angehören; fast alle Muslime sind Sunniten. Kleine Bevölkerungsgruppen gehören der römisch-katholischen, jüdischen, griechisch-orthodoxen oder protestantischen Konfession an.

Soziales

In den späten achtziger Jahren gab es in Tunesien etwa 3 500 Ärzte und 15 800 Krankenhausbetten. Für die Mehrheit der Bevölkerung ist die medizinische Versorgung kostenfrei. Ein Sozialsystem besteht seit 1950.

Bildung und Kultur

 

Bildung und Schulwesen

Der Schulbesuch ist gebührenfrei; es besteht eine allgemeine Schulpflicht von sechs bis 14 Jahren. Unterrichtssprachen sind Arabisch und Französisch. In den späten achtziger Jahren waren an Primärschulen insgesamt etwa 1,3 Millionen Schüler eingeschrieben, an Sekundarschulen, technischen Hochschulen und Berufsschulen etwa 452 000. Die Universitäten besuchten mehr als 54 000 Studenten; ein Großteil studierte an den drei Fakultäten der Universität Tunis (1958).

Kultureinrichtungen

Tunesien verfügt über drei große Bibliotheken, die sich alle in Tunis befinden. Die Nationalbibliothek besitzt mehr als 700 000 Bände. Das Musée National du Bardo, 1888 gegründet, beheimatet Sammlungen punischer, griechischer, römischer und islamischer Kunst. Tunis besitzt ein Staatstheater; viele Theateraufführungen finden im International Cultural Center in Hammamet statt. Das Carthage Festival, ein internationales Kunstfestival, wird jedes Jahr in der Altstadt von Karthago veranstaltet.

Medien

In Tunesien gibt es fünf Tageszeitungen mit einer Gesamtauflage von 230 000 Exemplaren und mehr als drei Dutzend Zeitschriften. Die Radio- und Fernsehsender werden von der Regierung geführt.

Verwaltung und Politik

Nach der Verfassung von 1959 ist Tunesien eine freie, unabhängige und präsidiale Republik.

Exekutive

Die staatliche Exekutivgewalt liegt beim Staatspräsidenten. Der Staatspräsident ist Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Streitkräfte; er ernennt die Mitglieder des Kabinetts, dem der Ministerpräsident vorsteht. Der Staatspräsident wird für fünf Jahre vom Volk gewählt. 1975 aber ernannte die Nationalversammlung Habib Bourguiba zum Präsidenten auf Lebenszeit. Bourguiba blieb bis zu seiner Absetzung im November 1987 im Amt.

Legislative

Inhaber der legislativen Gewalt ist die Einkammer-Nationalversammlung, der 141 Abgordnete angehören. Sie werden für fünf Jahre vom Volk gewählt.

Judikative

Religiöse Gerichte wurden abgeschafft; ihre Funktion wird heute von Zivilgerichten übernommen. Der Kassationshof in Tunis hat eine strafrechtliche und drei zivile Kammern. Ihm sind drei Berufungsgerichte in Tunis, Sousse und Sfax untergeordnet, die in der Hierarchie über dreizehn Gerichten erster Instanz stehen. Die niedrigste Instanz bilden die Amtsgerichte der 51 lokalen Bezirke.

Kommunalverwaltung

Tunesien ist in 23 Gouvernements gegliedert. Jedem Gouvernement steht ein Gouverneur vor, der vom Staatspräsidenten ernannt wird.

Politik

Stärkste Partei ist die linksliberale Rassemblement Constitutionnel Démocratique (RCD), die ehemalige Parti Socialiste Destourien (PSD, Destur-Partei). Die Partei dominiert alle Bereiche des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in Tunesien. Die wichtigsten Oppositionsparteien sind das Mouvement des Démocrates Socialistes (MDS, Bewegung der Sozialistischen Demokraten), der Mouvement de l’Unité Populaire (MUP, Bewegung der Volkseinheit), die Popular Unity party und die Kommunistische Partei.

Verteidigung

In den späten achtziger Jahren gehörten Tunesiens Heer etwa 30 000 Soldaten an; die Marine war 4 500 und die Luftwaffe 3 500 Mann stark.

Wirtschaft

Die wirtschaftlichen Schwerpunkte Tunesiens liegen in der Landwirtschaft und dem Bergbau. Vor allem der Fremdenverkehr entwickelte sich zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig. In den späten achtziger Jahren wies das Staatsbudget circa 3,1 Milliarden US-Dollar Einnahmen, 2,4 Milliarden US-Dollar Ausgaben und 1 Milliarde US-Dollar Investitionsausgaben aus.

Etwa 27 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung arbeiten in den Bereichen Landwirtschaft und Fischerei, 40 Prozent in der Industrie und 33 Prozent im Dienstleistungssektor. Die hohe Arbeitslosigkeit bereitet dem Land große Probleme. Der wichtigste Gewerkschaftsverband, die Union Générale Tunisienne du Travail, hat ungefähr 175 000 Mitglieder in 23 Gewerkschaftsgruppen.

Landwirtschaft

Der Ertrag des Landwirtschaftssektors unterliegt in Tunesien jährlichen Schwankungen; häufige Dürreperioden und Wassermangel stellen die Hauptprobleme dar. Die Anbauprodukte in den fruchtbaren Ebenen im Norden sind Weizen (1988 wurden 225 000 Tonnen produziert), Gerste (63 000 Tonnen), Tomaten (370 000 Tonnen), Gemüse und Melonen (1,3 Millionen Tonnen) sowie Weintrauben (130 000 Tonnen). Am Kap Bon werden Orangen (120 000 Tonnen) angebaut. Ferner werden in den zentralen Regionen Oliven (320 000 Tonnen) und in den Oasen der Sahararegion Datteln (40 000 Tonnen) angebaut. Ungefähr die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche wird als Weidefläche genutzt.

Fischerei

Die Fischindustrie an der tunesischen Küste befindet sich im Aufschwung. In den späten achtziger Jahren betrug die Fangmenge fast 100 000 Tonnen im Jahr. Gefangen werden vor allem Sardinen, Pilchards, Thunfische und Renken.

Bergbau

Tunesien verfügt zwar nicht über vergleichbare Erdölvorkommen wie seine Nachbarn Libyen und Algerien, hat aber einige bedeutende Lagerstätten. Erdöl ist der wichtigste mineralische Rohstoff Tunesiens. Die Lagerstätten befinden sich sowohl im Off-shore-Bereich als auch auf dem Festland, insbesondere im Süden. In den achtziger Jahren wurden große Vorkommen entdeckt; daraufhin wurden jährlich 38,4 Millionen Barrel Rohöl gefördert. Das Land ist einer der weltgrößten Phosphatlieferanten (6 Millionen Tonnen). Ferner werden Erdgas (367 Millionen Kubikmeter), Eisenerz (325 200 Tonnen), Blei (3 500 Tonnen), Zink (16 300 Tonnen) und Salz (422 000 Tonnen) gewonnen.

Industrie

 

Die tunesische Regierung hat die Entwicklung von exportorientierten Industrien vorangetrieben. Zu den größten Fabriken zählen die Zuckerraffinerie in Bajah, die Erdölraffinerie in Biserta, das Stahlwerk in Menzel Bourguiba und verschiedene Fabriken zur Phosphatverarbeitung und Zementherstellung. Andere Erzeugnisse der verarbeitenden Industrie sind Schwefelsäure, Textilien, Holzprodukte sowie Nahrungsmittel und Fischprodukte.

Währung und Bankwesen

Die Währung des Landes ist der Tunesische Dinar (= 1 000 Millimes). Sie wird von der Zentralbank, die 1958 gegründet wurde, ausgegeben.

Außenhandel

Tunesiens Außenhandelsbilanz weist gewöhnlich ein Defizit aus. In den späten achtziger Jahren lag der Exportwert bei 2,4 Milliarden US-Dollar, der Importwert bei 3,5 Milliarden US-Dollar im Jahr. Hauptexportgüter sind Erdöl, Bekleidung, Viehfutter, Olivenöl und Phosphate. Ferner wurden Wein, Zitrusfrüchte, Eisen, Stahl und Blei exportiert. Die wichtigsten Importprodukte waren Maschinen, Erdölprodukte, Elektrogeräte und Nahrungsmittel. Tunesiens wichtigste Handelspartner sind Frankreich, Italien, Deutschland, Spanien, Belgien, Algerien und die USA.

Verkehrswesen

Tunesien hat ein 27 370 Kilometer langes Straßennetz, das die verschiedenen Handelszentren miteinander verbindet; etwa 57 Prozent der Straßen sind asphaltiert. Das Land verfügt über ein 2 115 Kilometer langes Eisenbahnnetz. Große Hafenstädte sind Tunis, Biserta, Sousse und Sfax. Der Hafen bei Skhirra ist der größte Umschlagplatz für Erdöl. Bei Qabis wird ein moderner Hafen gebaut. Tunesien hat fünf internationale Flughäfen, zwei davon in Tunis.

Tourismus

Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Ein Großteil der Devisen fließt über den Fremdenverkehr in das Land. Regierungsprogramme verbesserten die touristische Infrastruktur und Tunesien wurde zu einem beliebten Urlaubsziel. Ende der achtziger Jahre erwirtschaftete Tunesien mit 3,4 Millionen Besuchern jährlich über 670 Millionen US-Dollar. Hauptanziehungspunkte sind Tunesiens Strände und die archäologischen Stätten wie z. B. die Altstadt Karthagos.

Energie

Fast der gesamte Energiebedarf wird durch Wärmekraftwerke gedeckt.

Geschichte

Das heutige Tunesien war in historischer Zeit Teil des karthagischen Reiches (siehe Karthago). Phönizische Händler haben die Stadt Karthago 814 v. Chr. nordöstlich des heutigen Tunis gegründet. In den folgenden Jahrhunderten wurde Karthago das Zentrum eines mächtigen Reiches, das den größten Teil Nordafrikas, den Süden der Iberischen Halbinsel, Sardinien und Teile Siziliens beherrschte. Karthago stieß 264 v. Chr. das erste Mal mit dem expandierenden Römischen Reich zusammen. Es folgte eine Serie von blutigen Kämpfen (siehe Punische Kriege). Im letzten, dem 3. Punischen Krieg (149-146 v. Chr.), besiegten die Römer die Karthager und zerstörten ihre Hauptstadt. Vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zum 5. Jahrhundert n. Chr. gehörte der größte Teil des heutigen Tunesien zur römischen Provinz Africa.

Im 5. Jahrhundert zog der germanische Stamm der Vandalen nach Süden. Sie entrissen den Römern die Herrschaft über die Provinz Africa. Die Vandalen behielten ein Jahrhundert (430-534) die Herrschaft. Unter der Führung des byzantinischen Generals Belisar (Belisarios) eroberte Rom erneut das Land.

Die Herrschaft der Araber, Spanier und Türken

Im 7. Jahrhundert fielen Araber in das Gebiet ein. Die arabischen Eroberer herrschten vom späten 7. bis zum frühen 16. Jahrhundert. Sie ersetzten die römisch-christliche Kultur durch eine am Islam orientierte Lebensweise. In dieser Zeit unterstand Tunesien verschiedenen arabischen Herrscherfamilien, darunter die Dynastien der Aghlabiten (800-909), der Fatimiden (909-973) und der Zeiriden (10. Jahrhundert). In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts besetzten die Normannen, unter der Führung des sizilianischen Herrschers Roger II., wichtige Gebiete an der Küste. Die Araber gewannen das Gebiet zurück, und die arabischen Dynastien der Almohaden (12. Jahrhundert) und der Hafsiden (1228-1574) übernahmen die Herrschaft.

Die Ära der arabischen Oberherrschaft endete im frühen 15. Jahrhundert. Seit 1535 regierten die Spanier das Land. 1574 wurden die Spanier von den Truppen des Osmanischen Reiches (Ottomanisches Reich) besiegt, und das Land kam unter osmanische Herrschaft. Unter der türkischen Herrschaft erlebte Tunesien von 1574 bis 1881 eine Phase der Stabilität. Als Vertreter des Sultans regierte ein eingesetzter Pascha. Der erste Bei, Al-Husayn Ibn Ali, regierte von 1705 bis 1740 und begründete die Dynastie der Husainiden. Unter der Herrschaft der Husainiden gewann Tunesien ein begrenztes Maß an Autonomie und kam zu bedeutendem Reichtum.

Das Ende der Seeräuberei

Zwischen 1801 und 1815 gebot die US-Marine den Seeräubern Einhalt, indem sie Tunis und andere Korsarenstützpunkte an der Küste Nordafrikas angriff.

Der Verlust der Einnahmen aus der Seeräuberei stürzte die tunesische Regierung in große Schulden. Die finanzielle Krise wurde noch durch die Verschwendungssucht der Beis verschärft. Tunesiens Hauptkreditgeber waren Frankreich, Italien und Großbritannien. 1830 eroberte Frankreich Algerien. Auf dem Berliner Kongreß 1878 zeigte sich Frankreich bereit, alle Ansprüche auf die Mittelmeerinsel Zypern aufzugeben; die Franzosen machten zur Bedingung, daß Großbritannien auf Tunesien verzichtet. Französische Truppen rückten 1881 in Tunesien ein. In einer Reihe von heftigen Auseinandersetzungen brachen die Franzosen den tunesischen Widerstand. Am 12. Mai 1881 unterzeichnete der regierende Bei den Bardo-Vertrag, durch den das Land unter das Protektorat Frankreichs gestellt wurde. Die zwei Länder unterzeichneten 1883 die Zusatzkonvention von La Marsa.

Das französische Protektorat

Die Herrschaft der Franzosen in Tunesien brachte viele wichtige gesellschaftliche und politische Veränderungen mit sich. Nach 1884 regierte ein französischer Generalbevollmächtigter das Land. Eine große Anzahl französischer Siedler kam ins Land, besetzte Verwaltungsposten und übernahm die Führung verschiedener Unternehmen. Diese Siedler trugen viel zur Angleichung Tunesiens an den Westen bei.

Anfang des 20. Jahrhunderts bedingte die weite Verbreitung demokratischer Ideale die Bildung einzelner Unabhängigkeitsbewegungen (Jungtunesier). Der französischen Regierung gelang es in den ersten Jahrzehnten, die aufkommenden nationalistischen Bewegungen zu unterdrücken. 1920 schlossen sich jedoch einzelne nationalistische Gruppierungen zusammen und formierten sich zur Destur-Partei (Verfassungspartei), die für umfangreiche demokratische Reformen eintrat. Die Destur-Bewegung löste sich 1925 auf, formierte sich während der Wirtschaftskrise in den dreißiger Jahren aber erneut. 1934 wurde die Neo-Destur-Partei (Neue Verfassungspartei) von dem patriotischen Politiker Habib Bourguiba gegründet. Im Gegensatz zu der liberalen Destur-Partei suchte die radikalere Neo-Destur-Partei auch Anhänger im Ausland; sie wurde von extrem linken oder nationalistischen Gruppierungen in Frankreich, Marokko und Algerien unterstützt. Die Regierung veranlaßte 1938 die Auflösung der Neo-Destur-Partei.

Die französische Regierung in Tunesien arbeitete während des 2. Weltkrieges eng mit der Regierung Vichy zusammen. Tunesien war für die Operationen des Militärs strategisch wichtig. Nach der Niederlage der deutsch-italienischen Afrika-Armee unterstellten die Alliierten am 15. Mai 1943 Tunesien der Oberhoheit des Nationalkomitees der Freien Franzosen. Die französische Obrigkeit ließ sofort Hunderte von mutmaßlichen Sympathisanten des Faschismus festnehmen. Der regierende Bei, der der Kollaboration beschuldigt wurde, wurde abgesetzt. Diese Maßnahmen riefen unter der tunesischen Bevölkerung großen Unmut hervor.

1945 zwang Frankreich Bourguiba zur Flucht nach Kairo. Im folgenden Jahr garantierte Frankreich Tunesien den Status eines halbautonomen Staates der Französischen Union. Im August 1947 machte Tunesien einen weiteren Schritt in Richtung Autonomie: Der französische Generalbevollmächtigte bildete ein Kabinett, das sich überwiegend aus Tunesiern zusammensetzte. Im September 1949 kehrte Bourguiba aus dem Exil zurück. Frankreich besetzte 1951, als Reaktion auf den Unmut der Tunesier gegen die Fremdbestimmung, eine größere Anzahl an Ministerämtern und Staatsposten mit Tunesiern. Es kam immer wieder zu Unruhen und politischen Demonstrationen, und die Position der Franzosen in Tunesien wurde zunehmend schwieriger.

Der Widerstand Tunesiens gegen die Herrschaft der Franzosen

Im Juli 1954 verschärfte sich die Lage. Es kam vermehrt zu blutigen Aufständen. Am 31. Juli kam der französische Premierminister Pierre Mendès-France nach Tunesien. Er versprach dem Protektorat vollständige internationale Autonomie zu gewähren. Es folgten langwierige Verhandlungen. Am 3. Juni 1955 unterzeichneten der tunesische Ministerpräsident Tahar ben Ammar und der französische Premierminister Edgar Faure verschiedene Abkommen und Vereinbarungen, die den Umfang der Selbstbestimmung Tunesiens erweiterten. Frankreich behielt sich die Entscheidungsgewalt in außen- und verteidigungspolitischen Fragen vor.

Am 17. September nahm eine rein tunesische Regierung die Arbeit auf. Viele Nationalisten äußerten ihre Unzufriedenheit und drängten auf eine größere Unabhängigkeit von Frankreich. Frankreich machte mit der Vereinbarung, die in Paris am 20. März 1956 unterzeichnet wurde, weitere Zugeständnisse. Mit dem Abkommen wurde der Bardo-Vertrag von 1881 außer Kraft gesetzt und Tunesien als unabhängige konstitutionelle Monarchie unter der Führung des Bei von Tunis anerkannt.

Aus den ersten nationalen Parlamentswahlen der tunesischen Geschichte, die am 25. März stattfanden, ging die Neo-Destur-Partei mit einer großen Mehrheit hervor. Am 8. April wurde Bourguiba von der Nationalversammlung Tunesiens zum Staatspräsidenten gewählt; am 11. April erfolgte seine Ernennung zum Ministerpräsidenten. Die Nationalversammlung nahm eine Verfassung an, nach der der tunesischen Bevölkerung die legislative Gewalt übertragen wurde. Am 12. November 1956 trat Tunesien der UN bei.

Die Neo-Destur-Partei demonstrierte bei regionalen Wahlen am 5. Mai 1957 ihre Stärke. Die Partei gewann knapp 90 Prozent der Stimmen; Frauen hatten hierbei erstmals das Wahlrecht.

Die Republik

Am 25. Juli 1957 setzte die Nationalversammlung den amtierenden Bei ab. Sie rief die Republik Tunesien aus, wählte Bourguiba zum Staatspräsidenten und vollendete so den Übergang von der Monarchie zur Republik. Im darauffolgenden Monat wurden viele Franzosen aus dem Staatsdienst entlassen. Das hatte zur Folge, daß ungefähr ein Drittel der im Land lebenden Franzosen aus Tunesien flüchteten, da sie diskriminierende Maßnahmen gegen die französische Bevölkerung fürchteten. Tunesien verlor damit ein bedeutendes Potential an hochqualifizierten Arbeitskräften.

Die Beziehungen zu Frankreich verschlechterten sich im Spätsommer und Herbst 1957. Französische Truppen betraten bei der Verfolgung algerischer Rebellen tunesisches Territorium und es kam zu feindlichen Zusammenstößen zwischen französischen und tunesischen Truppen entlang der Grenzlinie.

1958 verschärfte sich die Krise weiter. Am 8. Februar flogen französische Militärflugzeuge über die algerische Grenze und bombardierten das tunesische Dorf Sakiet-Sidi-Youssef (das heutige Saqiyat Sidi Yusuf); dabei kamen 68 Tunesier ums Leben, 100 wurden verletzt.

Tunesien wurde am 1. Oktober 1958 Mitgliedsstaat der Arabischen Liga. Am 15. Oktober brach Tunesien seine diplomatischen Beziehungen zu Ägypten (die damalige Vereinte Arabische Republik) ab. Im November trat Tunesien aus der Arabischen Liga aus.

Frankreich und Tunesien unterzeichneten am 15. April 1959 ein Abkommen, das die Unterstützung Frankreichs durch den Transfer technologischen Know-hows für die Zukunft sicherte. Am 1. Juni 1959 wurde eine neue Verfassung bekanntgemacht. Am 8. November fanden die ersten Wahlen unter der neuen Verfassung statt. Bourguiba wurde ohne Gegenkandidat wiedergewählt, und die Neo-Destur-Partei gewann alle Sitze in der Nationalversammlung.

Nachdem Frankreich die Forderung Tunesiens nach der sofortigen Evakuierung des Marinestützpunktes bei Biserta nicht erfüllen wollte, begannen tunesische Truppen am 19. Juli 1961, den Stützpunkt zu belagern. In den nächsten zwei Tagen brachen französische Streitkräfte die Blockade und kesselten die ganze Stadt ein. Dabei kamen 1 300 Tunesier ums Leben. Beide Seiten akzeptierten eine Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 22. Juli, die einen Waffenstillstand forderte. Die Generalversammlung der UN forderte Frankreich am 25. August auf, Biserta ganz zu verlassen. Nach längeren Gesprächen zwischen Frankreich und Tunesien, die 1962 aufgenommen wurden, zog Frankreich im Oktober 1963 seine Truppen vollständig ab.

Tunesien festigt seine Bindungen zum arabischen Lager

1963 und 1964 näherte sich Tunesien einer engeren wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit in Nordafrika. Der Grenzkonflikt mit Algerien war beigelegt, und es wurden Pläne für eine Kooperation im Technologiebereich gemacht. Auch Tunesiens Beziehungen zu Marokko verbesserten sich. In den Jahren 1965 bis 1966 unterstützte Tunesien die Bildung des Maghreb Permanent Consultative Committee, das sich für eine bessere regionale Kooperation in Nordafrika einsetzte.

In der Zwischenzeit hatte Tunesien in den Jahren 1963 bis 1964 auf engere Kontakte zum arabischen Osten, insbesondere mit Ägypten, hingearbeitet. Im Mai 1964 beschloß die Nationalversammlung die Enteignung aller ausländischen Grundbesitzer. Davon waren vor allem viele französische Familien betroffen, die in Tunesien insgesamt 300 000 Hektar Land besaßen. Frankreich strich die finanzielle Unterstützung Tunesiens und stürzte das Land in eine schwere Wirtschaftskrise.

Bei den Wahlen vom November 1964 war der tunesische Sozialismus das zentrale Thema; die Neo-Destur-Partei benannte sich in die Parti Socialiste Destourien um. Präsident Bourguiba erhielt ohne Gegenkandidat 96 Prozent der Stimmen; die Destur-Partei gewann alle 90 Sitze in der Nationalversammlung. Im April 1965 verschlechterten sich die Beziehungen zum arabischen Lager, als Bourguiba die Aushandlung eines Übereinkommens zwischen den arabischen Staaten und Israel auf der Grundlage der UN-Resolution von 1947 vorschlug. Sowohl Israel als auch die meisten arabischen Staaten, angeführt von Ägypten, lehnten dies ab. Die Differenzen zwischen Tunesien und anderen arabischen Staaten nahmen weiter zu, als die Beziehungen zu Ägypten abgebrochen wurden und Tunesien die Zusammenkünfte der Arabischen Liga zu boykottieren begann.

1966 gelang eine Annäherung Tunesiens und Saudi-Arabiens, die Beziehungen zu Ägypten verschlechterten sich jedoch weiter. Im jemenitischen Krieg stellte sich Saudi-Arabien an die Seite Tunesiens.

Als sich der arabisch-israelische Konflikt im April und Mai 1967 verschärfte, nahm Tunesien eine proarabische Haltung ein, und die diplomatischen Beziehungen mit Ägypten wurden wieder aufgenommen.

Bourguiba wurde im November 1969 für eine dritte Amtsperiode wiedergewählt. Im Dezember stimmte die Nationalversammlung einer Verfassungsänderung zu, die die Ernennung eines Ministerpräsidenten durch den Staatspräsidenten verlangte und festlegte, daß der Ministerpräsident im Falle des Todes oder der Regierungsunfähigkeit des Staatspräsidenten dessen Amt übernimmt. Diese Verfassungsänderung sollte den von Bourguiba eingeschlagenen liberalen innen- und außenpolitischen Kurs unterstützen. Im März 1975 wurde er „in Anerkennung der geleisteten Dienste" zum Präsidenten auf Lebenszeit ernannt.

In den frühen siebziger Jahren brachte Tunesien die wirtschaftliche Entwicklung, vor allem die Förderung der Erdölvorkommen voran. Die Beziehungen zu Frankreich und China verbesserten sich; Bourguiba äußerte aber sein Mißtrauen gegenüber den Vorhaben der USA und der Sowjetunion im Mittleren Osten.

1982 gewährte Tunesien dem Führer der Palästinensischen Befreiungsorganisation, Jasir Arafat, sowie einigen Hunderten seiner Anhänger, die den Libanon verlassen mußten, Asyl. Die inneren Unruhen von 1984 zwangen Bourguiba, die Preiserhöhungen im Bereich der Grundnahrungsmittel zurückzunehmen. Die Beziehungen zu Libyen verschlechterten sich 1985, nachdem Libyen etwa 30 000 tunesische Arbeiter entlassen hatte. In diesem Jahr wurden die Hauptquartiere der PLO in der Nähe von Tunis durch einen israelischen Luftangriff zerstört. Im November 1987 übernahm Ministerpräsident Zine al-Abidine Ben Ali das Amt des Staatspräsidenten. Er befreite politische Gefangene, legalisierte die meisten Oppositionsparteien und lockerte Bestimmungen, die die Pressefreiheit einschränkten. Obwohl mehrere Parteien für die Wahlen vom April 1989 kandidierten (Tunesiens erste freie Wahlen seit 1956), gewann seine Partei, das Rassemblement Constitutionnel Démocratique, alle 141 Sitze im Parlament, und Ben Ali wurde ohne Gegenkandidat zum Präsidenten gewählt. Anfang der neunziger Jahre ging er scharf gegen muslimische Fundamentalisten vor.

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